Das Kindermissionswerk ‚Die Sternsinger‘ unterstützt jährlich mehr als 1.800 Projekte für Not leidende Kinder weltweit. Die Themen Kinderrechte und
Kindesschutz haben dabei einen besonderen Stellenwert.
Am Mittwoch, 20. November 2019, wird die UN-Kinderrechtskonvention 30 Jahre alt.
Lesen Sie aus diesem Anlass die Reportage von Robert Baumann über MICANTO, eines der Projekte des Kindermissionswerkes, in denen sich Kinder in Freiheit entwickeln können.
Von Robert Baumann/Kindermissionswerk
Als Kind wuchs Dianira Trigoso
Vizconde in Peru in großer Armut auf. Heute hilft sie Kindern in einem Projekt des Kindermissionswerks, die ein ähnliches Schicksal haben, und stärkt sie in ihren Rechten.
„Ich habe mir immer einen Ort gewünscht, an dem sich Kinder in Freiheit entwickeln können“, sagt Dianira Trigoso Vizconde. „Einen
Ort, an dem ihre Meinung etwas zählt und sie respektiert und gehört werden, an dem ihre Sorgen und Ängste ernst genommen werden.“ Tränen laufen ihr über die Wangen, während sie das erzählt. Es
ist ein Ort, den sie selbst so in ihrer Kindheit nicht hatte. Heute bietet sie Kindern in Peru genau so einen Ort – in einem Projekt des
Kindermissionswerks ,Die Sternsinger’.
Aufgewachsen ist die heute 41-Jährige in Peru, in der Stadt Cajamarca im nördlichen Andenhochland – als das siebte von 15
Geschwistern. Viel zum Leben besitzen sie und ihre Familie nicht. Jeder Tag ist eine Herausforderung, die es zu meistern gilt. Nicht immer ist genug zu essen da, die Kinder teilen sich zu
mehreren ein kleines Schlafzimmer. Wird jemand in der Familie krank, verschärft sich die Situation. Eine Krankenversicherung haben sie nicht, eine medizinische Behandlung muss aus der eigenen
Tasche gezahlt werden. Drei von Vizcondes Geschwistern sterben früh – so wie viele Kinder in Peru, weil Krankheiten und Infektionen nur schlecht oder gar nicht behandelt werden.
Vizcondes Kindheit ist kein Einzelfall in Cajamarca. Ganz im Gegenteil. Armut bestimmt den Alltag vieler Menschen in der
peruanischen Stadt. Am meisten trifft das die Kinder. Keiner weiß das besser als sie selbst. Genau deshalb hilft sie heute Kindern und Jugendlichen, die ein ähnliches Schicksal haben und in Armut
groß werden. Als Projektleiterin bei der Hilfsorganisation MICANTO, ein Partner des Kindermissionswerks ,Die Sternsinger’, unterstützt sie Jungen und Mädchen in deren schwierigen Lebenslagen. Sie
klärt sie über ihre Rechte auf, gibt Nachhilfe- und Förderunterricht und bietet ihnen ein möglichst sorgenfreies Zuhause. „Mit MICANTO ist für mich ein Traum in Erfüllung gegangen. Wir bieten
Kindern, die heute in einer ähnlichen Lebenssituation sind wie ich damals, eine Perspektive. Die Kinder haben Fähigkeiten und Stärken, die nur darauf warten, entdeckt zu werden“, sagt Vizconde.
Wenn die zierliche und bescheidene Frau sichtlich gerührt von ihrer Arbeit berichtet, spürt der Zuhörer sofort: Jede einzelne Geschichte der Kinder ist immer auch ein Teil ihrer
eigenen.
Seit 2005 gibt es die Organisation MICANTO. Sie fördert benachteiligte, arbeitende Kinder in Cajamarca. Das Leben in den
Armenvierteln der Stadt wird bestimmt von Perspektivlosigkeit, Drogen und Kriminalität. Nicht selten erleben Kinder häusliche Gewalt, sexuellen Missbrauch und Einsamkeit. Viele Kinder gehen
arbeiten und tragen so zum Lebensunterhalt der Familie bei. In seinem Zentrum stärkt MICANTO die Kinder in ihrer Entwicklung und ihrem Selbstbewusstsein, hilft bei den Hausaufgaben und gibt
Nachhilfekurse. Mit Lobbyarbeit und politischen Aktionen macht die Organisation auf die Situation der Kinder und deren Rechte aufmerksam. Rund 300 Kinder und Jugendliche zwischen vier und 17
Jahren werden derzeit in dem Projekt betreut.
Eines dieser 300 Einzelschicksale ist Vizconde besonders nahe gegangen: Die Geschichte von Rolando. Mit acht Jahren kam der Junge
in das Hilfsprojekt. „Ich habe ihn von klein auf begleitet. Er war immer sehr aufgeweckt, ein cleveres Kind. Irgendwann hat er angefangen zu arbeiten, um sich seine Schulmaterialien selbst kaufen
zu können“, erinnert sich Vizconde und erzählt weiter: „Rolando hatte große familiäre Probleme. Seine Eltern waren beide Alkoholiker und er war das Jüngste von sieben Geschwistern.“ Eines Tages
habe Rolando sie sogar gebeten, ihn zu adoptieren. Das sei aber aus finanziellen Gründen nicht möglich gewesen. Mittlerweile ist Rolando 17 Jahre alt. Er ist erwachsen geworden, geht jetzt seinen
eigenen Weg. Micanto besucht er immer noch regelmäßig und ist vor allem Vizconde bis heute sehr dankbar. Denn ohne ihre Hilfe hätte sein Leben auch ganz anders verlaufen können.
Wenn Vizconde über die Arbeit von MICANTO spricht, ist ihr eines besonders wichtig: Bei dem Hilfsangebot gehe es nicht darum,
dass die Kinder nicht mehr arbeiten gehen sollen. Das sei der falsche Weg, betont sie. „Natürlich muss es eine würdige und keine ausbeuterische Arbeit sein, der die Kinder nachgehen. Aber in Peru
sind die Kinder stolz zu arbeiten. Sie erfahren, dass man im Leben etwas erreichen kann, wenn man sich anstrengt, und sie lernen, sich zu behaupten.“ Doch die Kinder sollten wissen, dass sie auch
Rechte haben. Zum Beispiel ein Recht auf Bildung oder auf Freizeit und Spielen.
Und weil der Hilfsorganisation die Kinderrechte so wichtig sind, feiern sie diese jedes Jahr mit einem großen Fest – immer am 20. November. Es ist der Tag, an dem
1989 die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen verabschiedet wurde. Mit einem Demonstrationszug ziehen sie dann durch die Straßen von Cajamarca und
halten ihre selbst gebastelten Plakate in die Höhe. Der 20. November 2019 wird für Vizconde und die Kinder ein ganz besonderer Tag. An dem Tag feiern die Kinderrechte ihren 30. Geburtstag – und
ganz MICANTO feiert mit. Für die Rechte der Kinder in Peru und auf der ganzen Welt.
Vier Fragen an....
... Regina Eckert de Villanueva, Fachbereich Freiwilligendienste im Kindermissionswerk ,Die Sternsinger‘ und Mitbegründerin von MICANTO.
Seit 2005 gibt es die Organisation MICANTO, ein Projektpartner des Kindermissionswerks ,Die Sternsinger’. Sie fördert benachteiligte, arbeitende Kinder in der Stadt
Cajamarca in Peru. In ihrem Zentrum hilft MICANTO den Kindern und Jugendlichen bei den Hausaufgaben, gibt Nachhilfekurse und stärkt die Kinder in ihrer Entwicklung und ihrem Selbstbewusstsein.
Mit Lobbyarbeit und politischen Aktionen macht die Organisation auf die Situation der Kinder und deren Rechte aufmerksam. MICANTO betreut derzeit rund 300 Kinder und Jugendliche zwischen vier und
17 Jahren.
Frau Eckert de Villanueva, Sie haben MICANTO im Jahr 2005 mit gegründet. Warum?
Ich habe bereits in den 90er Jahren ein soziales Jahr in einer Schule in Peru gemacht und war später mehrere Jahre als
Entwicklungshelferin vor Ort. In dieser Zeit habe ich mich in das Land und die Leute verliebt. Ich habe damals schon mit Kindern gearbeitet und gesehen, wie viele Notwendigkeiten dort bestehen:
Die Kinder bekommen nur wenig Unterstützung und haben nur wenige Möglichkeiten, Kind zu sein und sich vernünftig zu entwickeln. Das hat mich motiviert! Deshalb setze ich mich nach wie vor für die
Kinder ein.
Worum geht es bei MICANTO?
MICANTO ist eine Organisation für arbeitende Kinder. In Cajamarca sind fast alle Kinder, die aus einfachen Familien kommen, in
der Situation, dass sie zum Lebensunterhalt der Familie beitragen müssen. Wir wollten, dass sie eine Organisation im Rücken haben, die sie unterstützt, damit sie ihre Rechte und Pflichten kennen
und gleichzeitig auch zur Schule gehen können. Zu Hause gibt es nämlich oft keine vernünftige Infrastruktur, sprich: Es gibt keinen Tisch oder kein elektrisches Licht, damit sie ihre Hausaufgaben
machen können. Die Eltern sind oft nicht in der Lage sie zu begleiten, zum Beispiel zu Lehrergesprächen. Das alles war Motivation genug, um zu sagen: Wir gründen eine Organisation. Tatsächlich
ist es aber eine Bewegung. Wir haben diesen Begriff bewusst gewählt, weil wir mit den Kindern in Bewegung sind, um sie zu fördern.
Welche Rolle spiel Armut in Peru, speziell in Cajamarca?
Armut bedeutet vor allem, dass man sehr wenig Sicherheit hat. Dass man tatsächlich schauen muss, wie man den nächsten Tag
überlebt. Das bezieht sich oft auf die Ernährung, setzt sich aber auch im Gesundheitsbereich fort. Sobald jemand in der Familie krank wird, reißt es tiefe Löcher in den Haushalt, weil die meisten
dieser Menschen nicht versichert sind und im Krankheitsfall alles selber zahlen müssen. Wenn zum Beispiel eine Operation ansteht, bekommt der Patient vorher eine Liste vom Krankenhaus mit
Utensilien, die man mitbringen muss, um behandelt zu werden. Dann muss der Patient manchmal sogar Nadel und Faden für die Operation selber mitbringen. Viele können sich das alles nicht
leisten.
Worauf wird es bei der Arbeit von MICANTO in Zukunft besonders ankommen?
Ich halte es für sehr wichtig, dass die Kinder sich ganzheitlich entwickeln können. Ganzheitlich meint den schulischen Bereich ebenso wie die Persönlichkeitsentwicklung. Sie sollen sich wertgeschätzt fühlen, sich vernünftig ernähren und körperlich gut entwickeln können und eine ausreichende medizinische Versorgung bekommen. Wir wollen das Selbstbewusstsein der Kinder stärken und dazu zählt auch ihr Stolz, arbeitende Kinder zu sein.
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Autor: Die Sternsinger - Kindermissionswerk / Robert Baumann; zusammengestellt von Gert Holle - 13.11.2019