Interview mit Monsignore Georg Austen

„Es geschieht so viel Gutes durch Christen“

Foto:  Wilfried Hiegemann
Foto: Wilfried Hiegemann

 

Monsignore Georg Austen, Generalsekretär des Bonifatiuswerkes der deutschen Katholiken, über christliche Liebe, über Kirche sein in der Diaspora und über den bundesweiten Diaspora-Sonntag am 21. November.

 

Letztes Jahr war die Hoffnung das Leitwort, jetzt heißt es „Werde Liebesbote“. Das Motto passt offenbar in die Zeit: Haben wir nicht gerade in der Corona-Pandemie die mitmenschliche, mitfühlende Liebe neu kennengelernt?

Monsignore Austen: Wir haben gerade in den Monaten, in denen wir weltweit durch die Corona-Pandemie betroffen waren, erfahren, was es heißt, für den Nächsten da zu sein und sich einzusetzen – sei es im medizinischen Bereich, bei Ärzten und Pflegekräften, in der Organisation und Versorgung und der Seelsorge. Hier wird deutlich, dass die Liebe nicht nur ein menschliches Gefühl geblieben ist, sondern dass der Blick für den Nächsten sich auch im konkreten Handeln gezeigt hat. Es war Chance und Herausforderung zugleich, ähnlich wie bei der jüngsten Flutkatastrophe, wo wir viel Menschlichkeit, Hilfsbereitschaft und Nächstenliebe erlebt haben. Dafür können wir sehr dankbar sein.

 

Wie wollen Sie das Leitwort zum Diaspora-Sonntag mit Leben füllen?

Monsignore Austen: Als Bonifatiuswerk können wir nur Anstöße geben, das Leitwort mit Leben zu füllen. Das Wichtige ist: Was passiert in den Gemeinden vor Ort, wenn wir als christliche Lebensgemeinschaft auch sichtbar und erlebbar sein wollen? Denn die Liebe Gottes, die sich widerspiegelt in dem Leitwort „Werde Liebesbote!“, ist immer etwas, das mit Beziehungs- und Gemeinschaftsgeschehen zu tun hat. Hier wollen wir anregen, dieses Gebot der Nächstenliebe genauer zu beleuchten – wie spiegelt sich das im alltäglichen Geschehen unserer Gemeinden, unserer Kirche wider? Das soll deutlich werden.

 

„Seht, wie sie einander lieben“, wurde über die ersten Christen gesagt. Müssen wir heute in der katholischen Kirche im Umgang miteinander stärker zu Liebesboten werden?

Monsignore Austen: Das Gebot „Liebt einander“ ist für uns als Kirche wahrlich eine Herausforderung. Derzeit erleben wir, dass die Kirche gerade in der Öffentlichkeit oft desaströs wahrgenommen wird, durch verschiedene Kontroversen, insbesondere durch die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals. Auch das Ringen um bestimmte Fragen des menschlichen Lebens sowie notwendige Reformen beispielsweise beim Synodalen Weg spielen dabei eine Rolle. Ich wünsche mir, dass das alles in einer verantwortbaren Transparenz und Notwendigkeit geschieht. Aber was mich manchmal erschreckt, ist, dass es bei allem notwendigen Streiten nicht selten aggressiv zugeht. Diese Debatten sollen in Respekt voreinander, in Ehrlichkeit und Offenheit sowie im Vertrauen zueinander geschehen. Ganz wichtig ist es, den Menschen gerade in diesen Zeiten Zuversicht und Hoffnung zu geben, dass sie wieder Vertrauen in die Frohbotschaft Jesu und in die Gemeinschaft unserer Kirche bekommen. Es geschieht so viel Gutes durch Christinnen und Christen, ohne die Fehler zu verschweigen. Denn die Liebe Gottes wird insbesondere durch den Einzelnen erfahrbar im Dienst am

Nächsten. Gerade das möchten wir mit dem Motto „Werde Liebesbote!“ in diesem Jahr anregen, dass hier nicht nur auf die Kontroversen und Defizite geblickt wird, sondern ebenso das Positive, das Gute, das alltäglich geschieht, wahrgenommen wird.

 

„Werde Liebesbote“ – was hat das Motto denn konkret mit der Situation der Menschen in der Diaspora zu tun?

Monsignore Austen: Gerade in der Diaspora erleben wir häufig, dass Menschen versuchen, in der Vereinzelung, in einer Minderheitensituation ihren Glauben zu leben. In einer Welt, in der das Christentum marginaler zu werden scheint, stellt sich die Frage, wie können wir als Christen authentisch handeln und die Menschen unserer Gesellschaft in der Verantwortung für die Welt unterstützen. Hier greift das Bild des Liebesboten. Zum einen stellt sich die Frage, wie wir den Glauben heute zu den Menschen weitertragen können, denen er fremd geworden ist, oder wie wir mit Menschen, die anders glauben und denken, in einen Dialog kommen. Zum anderen geht es darum, wie wir Glaubensräume erschließen können, damit die Menschen dort auch Glaubensgemeinschaft erleben können, miteinander feiern und beten können, aber auch miteinander entdecken können, welche tiefe Dimension der Glaube für ihr persönliches Leben hat. Hinzu kommt ein weiterer Aspekt: Wie können wir unseren Brüdern und Schwestern in der Diaspora konkret helfen? Und das nicht nur in finanzieller Hinsicht, sondern im Gebet füreinander und in der Solidarität miteinander. Gerade das Liebesgebot kann da das Beste im Menschen zutage fördern.

 

Sie bekommen ständig Rückmeldungen aus den Diaspora-Diözesen. Hat die Corona-Pandemie neben vielen Einschränkungen dort auch zu Aufbrüchen im Glaubensleben geführt?

Monsignore Austen: Ja, die Pandemie hat auch zu neuen Formen in der Seelsorge geführt. Vor allem in Zeiten, in denen Menschen nach Nähe suchen, aber Distanz erleben, ging es um die Frage, wie wir diese Distanzen überbrücken können. Das geschieht über digitale Glaubensformen, durch Anrufe, durch Briefe und andere Zeichen. Weiterhin ging es darum, die großen christlichen Feste wie Ostern oder Weihnachten unter Pandemie-Bedingungen zu feiern, aber auch, wie wir Kranke, Trauernde oder seelisch Verletzte in diesen Zeiten begleiten. Hier hat es sehr viele kreative Ansätze gegeben und auch neue Formate, insbesondere im digitalen Bereich. Aber eines ist auch klar: Die konkrete Face-to-face-Begegnung von Mensch zu Mensch ist nicht ersetzbar. Das ist jetzt die Herausforderung, wieder zueinander zu finden, wo wir vielleicht auch entwöhnt worden sind. Wir sollten wieder erfahren, wie sehr es sich lohnt, dem Anderen zu begegnen, Gemeinschaft zu erleben – sei es in der persönlichen Begegnung oder im Gottesdienst.

 

Und wie sehr ist das Bonifatiuswerk selbst von den Auswirkungen der Pandemie betroffen?

Monsignore Austen: Die Kollekten sind massiv eingebrochen. Dadurch, dass nicht so viele Menschen Gottesdienste besuchen konnten oder Feiern wie Erstkommunion und Firmung nur im kleinen Rahmen gefeiert wurden, sind die Einnahmen hier zurückgegangen. Wir sehen das mit Sorge, weil die Spenden für unser Hilfswerk notwendige Projekte ermöglichen und die Seelsorge in der Diaspora

unterstützt. Auf der anderen Seite haben wir sehr viele Menschen erlebt, die uns gerade jetzt durch Spenden ihre Solidarität zum Ausdruck gebracht haben. Damit konnten wir auch entstandene Initiativen in der Corona-Pandemie fördern. Von daher sind wir sehr froh sowie den Spenderinnen und Spendern dankbar, dass wir in dieser Hinsicht im Gesamthaushalt stabil geblieben sind, um unseren Projektpartnern auch in schwierigen Zeiten zur Seite zu stehen. Die Dankbarkeit, die uns aus vielen Projekten erreicht hat, kann ich auf diesem Weg nur weitergeben.

 

Können Sie uns ein konkretes Projekt nennen, das in diesem Jahr besonders gefördert werden soll?

Monsignore Austen: Ein Teil der Erlöse wird an ein Familienzentrum im Eichsfeld in Thüringen gehen. Im Kloster Kerbscher Berg in Dingelstädt gibt es ein christliches Familienzentrum, in dem sich junge Familien, Alleinerziehende, aber auch Senioren und natürlich in erster Linie die Kinder begegnen, wo sie ihre Kreativität entdecken und entfalten können. Das Zentrum steht allen Menschen offen, ob konfessionsgebunden oder nicht. Es ist ein spiritueller Ort. Bis 1994 waren hier die Franziskaner Zuhause, und noch heute finden jährlich mehrere Wallfahrten auf den Kerbschen Berg statt. Es gibt beispielsweise eine Kinderwallfahrt mit bis zu 4.000 Kindern und Jugendlichen. Für uns ist es einfach wunderbar zu erleben, wie das Kinderlachen die altehrwürdigen Klostermauern wieder mit Leben füllt. Auch dem Martinshaus im lettischen Liepaja kommt die Hilfe zugute. Die Einrichtung der katholischen Kirche vor Ort ist seit vielen Jahren eine verlässliche Adresse für Frauen in Krisen- und Notsituationen. Dort finden sie nicht nur materielle, sondern auch psychologische Unterstützung, um für ihr Leben wieder neuen Mut zu fassen.

Das Interview führte Oliver Gierens.