Predigt: Tag der Deutschen Einheit, 3. Oktober 2020


 

St. Peter und Paul Potsdam

 

Markus 8, 1-9

 

 

 

Bischof Dr. Christian Stäblein

 

 

 

 

 

Liebe Gemeinde – an den Bildschirmen und hier in der Kirche,

 

was ist das schön, alle werden satt heute mit guten Worten. Mutworte zu Einheit und Aufbruch, Manna-Worte von der Verpflegung in der Wüste und was wirklich Miteinander heißt, so ist es erst gut halb elf und wir sind schon geradezu „abgefüllt“ (gesättigt) mit guten Worten, da kommen immer noch quasi Körbe voll davon rein, also jetzt eben diese herrliche Geschichte von der Brotvermehrung. Was machen wir damit jetzt, wo wir doch fast schon randvoll sind mit guter Botschaft, was machen wir nun mit dieser schönen Geschichte? Ich habe drei Vorschläge, entsprechend dem Motto von heute: „Deutschland ist eines. Doppelpunkt: vieles“, entsprechend möchte ich sagen: Gute Nachricht ist eines. Doppelpunkt: Vieles.

 

 

 

Erstens: Genießen. Wirklich? Ja, auch das. Ich schlage vor, wir genießen die Geschichte für einen Moment. Sie erzählt, wie Leben sein soll. Menschen werden satt. Unerwartet. Keiner, keine wird übersehen. So soll es doch sein, auch bei uns. Alle Regionen kommen dran. Die Menschen in den angeblich am Rande liegenden Dörfern. Und die in der Hauptstadt, von denen jeder meint, sie werden eh gesehen, aber in die Wohnungen hinterm Hof guckt dann doch keiner, außer vielleicht die Mietspekulanten. In der Geschichte bei Jesus werden alle gesehen, wird jede Lebensgeschichte gehört. Alle werden satt. Es bleiben sogar Körbe voll über. #wirhabennochwasüber könnte man sofort posten, oder #wirhabenplatzundsogarnochmehr. Eine Geschichte zum Genießen auch.

 

Ich will das betonen, weil wir über allem, was heute unbedingt auch zu sagen ist, nicht vergessen mögen, dass es eine faszinierend schöne Geschichte ist, die wir heute feiern. 30 Jahre deutsche Einheit, das sind Körbe voll Wiedersehens- und Aufbruchsgeschichten, Körbe voll gegenseitig Bereichern und neue Wege finden, Körbe voll Mut und Lust an Freiheit, Brandenburger Mut, Sächsischer Mut, Thüringer, Berliner, Ostdeutscher Mut. Ach, fast möchte man sich hinsetzen an diesem Tag und über das Bäuchlein guter Geschichten streicheln, es kommt ja immer noch und immer noch eine dazu. Für mich etwa die von der Gemeinde Staaken, auf der Grenze Spandau – Falkensee, West-Staaken gehörte zu Brandenburg, also Westen im Osten oder Osten im Westen – naja, jedenfalls lange getrennt, dann quasi mit Staaken-Ost im Westen wieder vereint, das ist so schön, dass man fast durcheinander kommt und so soll es doch sein 30 Jahre nach Werden der Deutschen Einheit, dass man durcheinander kommt mit Westen und Osten, ist gerade nicht mehr separiert und fixiert. Jedenfalls: in der Dorfkirche zu Staaken gibt es ein herrliches Wandgemälde, auf dem bunt gemischt evangelische und katholische Personen aus der Historie gemeinsam ums Kreuz versammelt sind, versöhnte Einheit heißt das Gemälde. Passt. Zukunftsauftrag, klar. Einheitsgeschichten, Körbe voll, nicht vergessen heute: bitte auch genießen. Deutschland ist eines. Doppelpunkt. Vieles. Und ja: Glaube macht eines. Doppelpunkt. Vielfach satt.

 

 

 

Zweitens: Nach dem Genießen kann man sich dann gut auch ärgern, gehört ja dazu, aber klar, auch im Blick auf die Geschichte von Jesus und der Brotvermehrung. Stimmt das denn, dass alle satt werden oder mindestens gesehen? Haben die damals mit Je-sus nicht nur Glück gehabt? Seitdem und immer noch gilt doch: ständig werden Menschen nicht satt, auf der Welt, in diesem Land, mitten unter uns. Und der Hunger nach gesehen werden: unstillbar groß und so ungleich bedacht. #Illusionmiteinanderallesatt. Sollen wir das posten?

 

Und dann, was ja auch echt sonderbar ist: die Ge-schichte vom Wunder erzählt gar nicht, wie das geht mit dieser Brotvermehrung. Tatsächlich, das steht da nicht. Es wird schlicht, nüchtern erzählt: Jesus dankt, bricht das Brot, die Jünger verteilen es, fertig. Reicht für alle. Aber was ist der Trick, oder besser: das Geheimnis? Da ist eine Lücke in der Geschichte. Gut, die können wir auffüllen, schließen, doch. Mit Vertrauen etwa. Da hat keiner Angst in der Geschichte und wo keiner Angst hat, wo alle vertrauen, da werden auch alle satt. Genau deshalb. Weil niemand raffen und niemand wegnehmen und horten muss. Gute Lückenfüllung. #keinermusshortendukannstvertrauen. Auch in der Pandemie.

 

Oder ich kann die Lücke füllen mit Teilen. Wo geteilt wird, bekommen alle genug. Das ist immer wieder das Wunder des Lebens und des Alltags. Wo geteilt wird, werden die Dinge nicht weniger, sie werden mehr. Gerade hier in Brandenburg höre und erlebe ich solche Geschichten immer wieder. Wie gut man einst im Teilen war, wie schwer es jetzt manchmal geworden ist. Teilen. Offenes Geheimnis im Leben, um die Lücken zu füllen.

 

Aber warum überhaupt die Lücke in der Erzählung? Wie geht es denn nun, dass alle satt werden?

 

Dritter Vorschlag zu „Was machen wir mit der Geschichte heute?“ Womöglich einfach das, was auch die Geschichte selbst erzählt. Sie leben. Die Jüngerinnen und Jünger fragen nicht groß, sie machen im rechten Moment, was dran ist. Sie teilen aus. Das Wunder geschieht, indem die Menschen – wir würden neudeutsch sagen – indem sie performen. So wie die Mutigen hier im Osten vor 30 Jahren. Keine Angst um sich selbst haben. Drei Tage, heißt es zunächst, hatte die Menge nichts zu essen. Na, da liegt die Übertragung auf ein brennendes Flüchtlingslager dieser Tage nahe. Drei Tage kaum Versorgung. Manchmal gilt da: Mach doch einfach, jetzt, macht doch einfach, Ihr Europäerinnen und Europäer. Liebe Gemeinde, so einfach? Zu einfach? Es ist natürlich ein langer Prozess, von dem eins werden in diesem Land her wissen wir es, vom eins werden in Europa auch, von eins werden in der Welt erst recht. Ein langer Prozess. Da ist es elementar, gleichsam die Grundnahrung, solche Geschichten wie diese von Jesus zu haben. Und diese Geschichte – wie sagt man heute – zu teilen. Gerade auch mit denen, die im Moment für Gerechtigkeit und Freiheit weggesperrt werden, die wir nicht hören – ob in Belarus oder Hongkong. Mit ihnen die Geschichte teilen, die, dass alle satt und niemand übersehen wird bei Jesus. Und dass er uns das zutraut. Das zu teilen und weiter zu leben. Ob wir das können? Immer mal wieder bestimmt.

 

Und ganz bestimmt auch das, was Jesus als erstes tut in der Geschichte. Was? Na klar, danken. Wir danken heute. All den vielen auf dem Weg der Einheit. Den Mutigen, aber auch denen, die zögerlich sind, oder die einfach machen, was dran ist. Denen, die mahnen und die, die ihr Erinnern teilen. Immer noch eine Geschichte dazu, oh ja. In Gottes Namen danken wir allen. In Gottes Namen macht Danken eins. Doppelpunkt: Offen füreinander. #offenfürgottnurmut. Könnte man gleich posten. Und dann wieder Körbe voll Geschichten dazu sammeln. #offenfürgottnurmut. Amen.