Predigt am 2.12.2018 - 1. Sonntag im Advent

Foto: Thomas Philipp
Foto: Thomas Philipp

 

 

Liebe Gemeinde!

 

Ein neues Kirchenjahr beginnt. Die Farbe der Vorhänge an Altar und Kanzel erinnern uns: Das neue Jahr der Kirche fängt mit einer Bußzeit an. Violett ist die Farbe der Buße, der Umkehr und der Besinnung. Ob wir uns darauf einlassen können? Ja, wollen wir das einmal ernst nehmen, dass etwas Neues beginnt, neue Möglichkeiten, sich anders ausrichten, sogar ein neues Leben beginnen?

 

Ich musste an meine Schulzeit denken. Immer wenn ich ein neues Heft angefangen habe, wollte ich es anders machen auf seinen noch weißen, unbeschriebenen Blättern: Weniger klecksen, ordentlicher schreiben und im Rechnen weniger Fehler... Ich erinnere mich auch noch an meine Gefühle damals, bei solchen Gelegenheiten: Das war richtig aufregend, den ersten Strich, den ersten Buchstaben auf die weiße, saubere Seite setzen. Schon das Etikett auf dem Umschlag zu beschriften, war schön, fast spannend: Mein Name, mein Heft, ein neuer Anfang, alles wird anders. Zugegeben, diese Spannung, diese prickelnde Erwartung war meist schnell wieder verflogen. Das hielt nicht lange vor. Vielleicht noch am selben Tag war er wieder da: Der Fehler in der Rechenaufgabe, der Tintenklecks im Aufsatz, die Schmierspuren des Radierers, das durchgestrichene Wort. Aber beim nächsten Mal war's wieder schön, aufregend und eine Freude...das neue Heft...der Anfang...damals als Kind.

 

Ob wir Erwachsene das besser machen? Ob wir Neues beginnen können und auch dabei bleiben? Ob unser Anfang heute von Dauer ist und die Freude länger vorhält? Wie könnte unser Beginn aussehen? Welchen Anfang machen wir heute?

 

 

Wir hören Worte aus dem Evangelium des Lukas:

 

Textlesung: Lk. 1, 67 - 79

 

Und sein Vater Zacharias wurde vom heiligen Geist erfüllt, weissagte und sprach: Gelobt sei der Herr, der Gott Israels! Denn er hat besucht und erlöst sein Volk und hat uns aufgerichtet eine Macht des Heils im Hause seines Dieners David - wie er vorzeiten geredet hat durch den Mund seiner heiligen Propheten -, dass er uns errettete von unsern Feinden und aus der Hand aller, die uns hassen, und Barmherzigkeit erzeigte unsern Vätern und gedächte an seinen heiligen Bund und an den Eid, den er geschworen hat unserm Vater Abraham, uns zu geben, dass wir, erlöst aus der Hand unsrer Feinde, ihm dienten ohne Furcht unser Leben lang in Heiligkeit und Gerechtigkeit vor seinen Augen. Und du, Kindlein, wirst ein Prophet des Höchsten heißen. Denn du wirst dem Herrn vorangehen, dass du seinen Weg bereitest und Erkenntnis des Heils gebest seinem Volk in der Vergebung ihrer Sünden, durch die herzliche Barmherzigkeit unseres Gottes, durch die uns besuchen wird das aufgehende Licht aus der Höhe, damit es erscheine denen, die sitzen in Finsternis und Schatten des Todes, und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens.

 

Was könnte unser Beginn heute sein, haben wir gefragt. Was wir hören sind sehr große Worte: Heiligkeit, Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Frieden. Fast möchte uns da der Mut ausgehen. Wenn wir noch einmal an unser Schulheft denken, dann möchten wir erst gar nicht den ersten Buchstaben auf das erste Blatt setzen und unseren Namen auf den Umschlag schreiben. Daran werden wir ja doch scheitern! Das kann uns nicht gelingen: Heiligkeit, Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Frieden.

 

Aber bevor wir nun das neue Heft weglegen, lasst uns genauer hinsehen: "Und du, Kindlein, wirst ein Prophet des Höchsten heißen. Denn du wirst dem Herrn vorangehen, dass du seinen Weg bereitest und Erkenntnis des Heils gebest seinem Volk in der Vergebung ihrer Sünden, durch die herzliche Barmherzigkeit unseres Gottes..." Wir sollen den neuen Anfang gar nicht alleine machen! Es kommt einer, der hilft uns dabei. Wir wissen seinen Namen: Johannes. Und wir wissen von ihm, dass er den Menschen Buße und Umkehr gepredigt hat. Und er hat sie getauft. Nun, getauft sind wir...und Buße und Umkehr, die wollen wir ja gern versuchen. Nur wie? "...dass du seinen Weg bereitest und Erkenntnis des Heils gebest seinem Volk in der Vergebung ihrer Sünden..." Ob es das ist: Vergebung? Schön wäre es schon. Neu beginnen, alles zurücklassen, was wir falsch gemacht haben; es muss uns nicht mehr quälen, nicht mehr belasten. Wunderbar! Befreiend! Hoffnungsvoll!

 

Hier kommt, der uns das bringt: "...gebest seinem Volk Vergebung ihrer Sünden, durch die herzliche Barmherzigkeit unseres Gottes..." Einer sagt uns: Das alte Heft mit seinen Schreibfehlern und hässlichen Klecksen wird verbrannt, zählt nicht mehr, gilt nicht mehr. Du schlägst heute ein neues Heft auf und alles kann neu beginnen, besser werden. Und nicht aus dir selbst, sondern weil einer dir hilft, die Hand führt, deine Gedanken begleitet, deinen Willen stärkt und dir bei der Lösung deiner Aufgaben hilft.

 

Aber hier kommt die Sache mit dem Schulheft auch an ihre Grenze: Das Leben ist ja doch viel ernster, viel gewichtiger, und was uns misslingt und daneben geht ist schwerwiegender als der Fehler beim Rechnen oder die Seite mit dem Tintenklecks. Darum schauen wir auf unser Leben. Hören wir und lassen wir uns sagen, was bei uns neu werden kann und anders und wie das geschieht:

 

Eine ist heute (vielleicht) unter uns, die gerade überlegt, ob sie ihrem Leben nicht noch ein wenig mehr an Sinn und Erfüllung abgewinnen könnte. Es ist schon seit Jahren so farblos, so langweilig, so ohne Freude auch und so eingefahren. Wie oft hat sie sich in der letzten Zeit schon gefragt, was eigentlich noch wichtig ist an dem, was sie tut, wer sie wirklich braucht und wem sie fehlen würde, wenn sie nicht mehr wäre. Ja, ganz ernste und schonungslos offene Fragen waren das, die sie sich gestellt hat. Und jetzt will sie ihr Leben gern noch einmal herumreißen. Und sie weiß auch Aufgaben, sie kennt auch Menschen, die sie brauchen und will auch gern den neuen Anfang wagen.

 

Heute hört sie: "Gott hat besucht und erlöst sein Volk!" Und das will ihr Mut schenken, es nun wirklich zu probieren. Das sagt ihr zu: Du bist nicht allein, du wirst Hilfe haben. Gott ist mir dir in allem, was du beginnst.

 

Und ein anderer ist unter uns, der hat große Schuld auf sich geladen. Oft hat er schon gedacht: Das wird nie mehr. Da komme ich nicht heraus. Das wird mir immer anhängen und mich niemals mehr aus seinen Klauen lassen. Selbst wenn er gewiss würde, Gott vergibt mir, so wären doch da die Leute, die reden, die ihn festlegen auf das, was war und was er getan hat. Ja, ist es nicht eigentlich eine Illusion: Du könntest frei werden, aufatmen, der Ring um deine Brust könnte gesprengt werden? Wird nicht immer haften bleiben, dass du doch damals in Schuld gefallen bist, verstrickt warst in ein Geflecht des Bösen und der Bosheit. Mag auch die Schuld selbst nicht mehr zählen, so wird doch ihr Schatten immer auf dir liegen, dein Leben lang.

 

Heute hört er: "...dass er uns errettete von unsern Feinden und aus der Hand aller, die uns hassen, und Barmherzigkeit erzeigte, dass wir, erlöst aus der Hand unsrer Feinde, ihm dienten ohne Furcht unser Leben lang in Heiligkeit und Gerechtigkeit vor seinen Augen." Es ist möglich, alles zurückzulassen in der Vergangenheit! Es gibt den neuen Tag, an dem alle Schatten von uns abfallen. Gott vergibt. Gott erlöst und Menschen können durch ihn auch verzeihen. Wem Gott vergeben hat, dem darf kein Mensch mehr seine Schulden behalten. Und selbst, wo sie's doch tun, ist doch Gottes Verzeihen stärker und löst uns und stellt uns auf den neuen Weg, in den weiten Raum, in dem nichts mehr gilt, was gewesen ist.

 

Und dann gibt's da noch die Menschen unter uns, die ihrem Leben so gern ein wenig mehr Tiefe geben würden. Wie oberflächlich ist doch diese Zeit. Was hat schon Bedeutung, was ist wirklich wesentlich? Ein Tag vergeht wie der andere. Aufstehen, sein Tagwerk verrichten, ein wenig Freizeit und Zerstreuung, sich niederlegen. Wo ist Gott bei alledem? Welche Zeit meines Lebens gehört ihm? Wo ist der Platz, den ich ihm gewähre? Wird es nicht langsam Zeit bei mir, dass ich mich auf Gott besinne? Die Jahre sind so kurz! Rasch ist das Leben vorbei. Und wir ahnen doch, es könnte viel mehr Farbe in unsere Tage kommen, wenn wir Gott eine größere Rolle bei uns spielen ließen. Und es stünde ihm ja auch zu! Und es täte uns gut und wir wüssten mehr, warum wir da sind.

 

Heute hören wir: "...wird uns besuchen das aufgehende Licht aus der Höhe, damit es erscheine denen, die sitzen in Finsternis und Schatten des Todes, und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens." Warum nicht die Menschen, die Dinge, unsere Zeit mehr im Lichte des Wortes Gottes sehen? Es gibt Aufgaben, es gibt Aufträge - gerade an uns. Und wir können sie erfüllen. Menschen erfahren durch uns Hilfe und Freundlichkeit. Menschen werden glücklicher durch unsere Nähe. Unser Tag, jeder Augenblick wird wertvoller und schöner. Morgens fröhlich aufstehen, weil uns Gott manches vor die Füße legen wird, was uns angeht und was wir angehen können. Abends zu Bett gehen mit dem Gefühl: Es war ein wichtiger Tag, es ist Wesentliches geschehen: Wir haben der Freude anderer gedient, wir haben getan, was Gott von uns wollte, wir haben den Frieden gefördert. Und bei allem waren wir nicht allein. Gott war bei uns. Gott hat uns Kraft gegeben und den Mut, sie für andere einzusetzen. Und Gott verlässt uns auch nicht. Er macht nicht nur den Anfang mit uns, er sorgt dafür, dass wir dem treu bleiben können, was wir heute beginnen.

 

Liebe Gemeinde, ein neues Jahr der Kirche fängt an. Wir schlagen ein neues Heft auf und schreiben unseren Namen darauf und die ersten Worte auf das erste Blatt... Vielleicht werden wir wieder klecksen. Vielleicht gibt es Fehler und falsche Lösungen.

 

In unserem Leben aber sind wir nicht allein. Gott hilft uns, dass wir dem Anfang treu bleiben können, den wir uns heute vornehmen. Gott gibt uns die Kraft, die Hilfe und die Ausdauer, die wir brauchen. Und die Erfüllung, den Sinn und die Freude daran wird er uns auch schenken.

 

"Gelobt sei der Herr, der Gott Israels! Denn er hat besucht und erlöst sein Volk!" AMEN

 

 

 


Autor: Pfarrer Manfred Günther; Foto: Thomas Philipp -20.11.2018

     


Predigt am 9.12.2018 - 2. Sonntag im Advent

Foto: Gert Holle
Foto: Gert Holle

Textlesung: Jes. 35, 3 - 10

 

Stärket die müden Hände und macht fest die wankenden Knie! Saget den verzagten Herzen: "Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott! Er kommt zur Rache; Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen." Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden. Dann werden die Lahmen springen wie ein Hirsch, und die Zunge der Stummen wird frohlocken. Denn es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen und Ströme im dürren Lande. Und wo es zuvor trocken gewesen ist, sollen Teiche stehen, und wo es dürre gewesen ist, sollen Brunnquellen sein. Wo zuvor die Schakale gelegen haben, soll Gras und Rohr und Schilf stehen. Und es wird dort eine Bahn sein, die der heilige Weg heißen wird. Kein Unreiner darf ihn betreten; nur sie werden auf ihm gehen; auch die Toren dürfen nicht darauf umherirren. Es wird da kein Löwe sein und kein reißendes Tier darauf gehen; sie sind dort nicht zu finden, sondern die Erlösten werden dort gehen. Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen.

 

Liebe Gemeinde!

 

Das sind schöne Bilder. So fern sie uns vielleicht auch scheinen, sie rühren uns an. Wir leben ja nicht in der Wüste und der Berg Zion ist nicht das Ziel unserer Wünsche - und doch: Die Worte des Propheten sprechen mit uns. Wir verstehen sie - nicht mit dem Kopf, aber sie lösen doch etwas in uns aus: Hoffnung, dass es einmal besser wird. Sehnsucht nach einem guten, erfüllten Leben. Zuversicht, dass einmal alles zu Ende geht, was uns beschwert und den Mut nimmt.

 

Und wie von selbst haben wir in unseren Träumen diese Welt verlassen. Wir denken an Gottes Ewigkeit, sagen uns, einmal wird sie anbrechen, trösten uns mit dem Blick nach drüben...

 

Aber so meint es der Prophet nicht! Er spricht von dieser Welt, von diesem Leben in dieser Spanne zwischen Geburt und Tod! Er will uns Mut machen - aber für unseren Alltag in dieser Zeit. Er will uns Kraft und Segen zusprechen - aber für die Aufgaben, die wir heute haben. Er will trösten - aber nicht vertrösten auf Gottes Reich. Hier und heute gelten seine Prophezeiungen. Er richtet Gottes Worte für diese Welt aus. - Ob es hilft, wenn wir seine Bilder und Gedanken in unsere Zeit und unsere Welt übersetzen und wenn wir dabei auch an die frohe Botschaft denken, die wir kennen, seit Jesus Christus in der Welt ist?:

 

Stärket die müden Hände und macht fest die wankenden Knie! Saget den verzagten Herzen: "Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott! Er kommt gerade zu uns kleinen Leuten; Gott, der die Schwachen liebt, kommt und wird euch helfen." Dann werden unsere Augen sehen, was für Wunder Gott in unserem Leben tut und unsere Ohren werden hören, was seine Stimme uns heißt. Menschen, die müde und kraftlos waren, werden stark sein und etwas fertigbringen, und die in Kummer und Resignation verstummt sind, werden Gottes Lob singen. Denn wir werden gute Erfahrungen machen, wo wir's nie gedacht haben und schöne Erlebnisse geschenkt bekommen, wo wir's nie erwartet hätten. Und was wir nicht zu können glaubten, geht uns leicht von der Hand; wozu wir meinten, kein Talent zu haben, gelingt uns. Was vielleicht all unser Leben lang brach gelegen hat, wird nun fruchtbar für uns und andere. Und wir werden den Weg, den Gott selbst uns durchs Leben zeigen will, erkennen und finden. Wenn wir die Hoffnungslosigkeit abtun und alle Furcht dem Gottvertrauen weicht; dann werden wir auf diesem Weg mutig voranschreiten. Nichts Böses wird uns begegnen, niemand wird uns schrecken oder ängsten, sondern wie erlöst werden wir sein. Voll Freude werden wir in Gottes Nähe leben - schon heute; und einmal wird unsere Freude ewig sein und alles Leid, alle Not, alle Krankheit und aller Schmerz wird für immer weichen müssen.

 

Hat das besser mit uns gesprochen? Kam uns das noch näher?

 

Wenn wir nur aufhören, immer nach drüben zu schauen und alles, was hier nicht sein kann, sein soll, wie wir meinen, in Gottes Ewigkeit erwarten! Gott will keine Menschen, die bedrückt sind und traurig, die nicht lachen können und dann auch noch denken, es wäre ihnen so bestimmt! Gott will fröhliche Leute, er will das Lächeln auf unserem Gesicht und die heiteren, leichten Herzen!

 

Denke nur einmal: Wenn das alles gar nicht so sein soll, womit du dich doch abgefunden hast. Wenn Gott vielleicht schon lange darauf wartet, dass du endlich den Mut fasst, etwas anzupacken, was du dich nie anzufassen getraut hast. Und wenn dir das dann gelingt! -

 

Und denke doch nur: Wenn dein Leben noch gar nicht am Ende wäre und alles immer so weitergehen muss, wie es schon immer ging. Wenn vielmehr das Beste noch ausstünde und die schönsten Stunden deines Lebens noch auf dich warten!

 

Und denke nur einmal: Wenn doch noch geschähe, worauf du lange nicht mehr hoffst, und wenn das wahr würde, was du schon gar nicht mehr für möglich hältst. Vielleicht kommt für dich doch noch die Zeit, in der Träume, Sehnsucht und Wünsche sich erfüllen!

 

Ich weiß schon, da schleicht sich wieder das alte, hoffnungslose Denken ein: "Das kann ja nicht sein. So wird es nie und mir ist das einfach anders beschieden!"

 

Mir fallen dazu viele Gestalten aus der Bibel ein: Hätte denn Sarah gedacht, dass sie auf ihre alten Tage noch Mutter wird? Hätte Mose sich träumen lassen, dass er zum Führer seines Volkes wird, er, der doch gar nicht gut reden konnte? Hätte der kleine Hirtenjunge David für möglich gehalten, dass er König von Israel werden soll? Konnte ein Zachäus auch nur ahnen, dass der Herr ihn auf seinem Baum sieht und schließlich gar mit ihm essen würde? Und gewiss war kein einziger unter den Jüngern, die sich, bevor Jesus sie rief, hätten vorstellen können, dass sie einmal mit dem Messias durch Palästina wandern. Und Petrus? - Durfte er nach seiner Verleugnung noch damit rechnen, dass Jesus ihm sein Versagen vergibt?

 

Aber mir kommen auch Menschen unserer Tage in den Sinn, die es erlebt haben, dass Gott selbst ihr Leben herumreißt, wenn sie ihn nur lassen: Ich denke an die alte Frau, die ihr Herz für die Schlüsselkinder im Ort entdeckt und ihnen täglich nach der Schule für ein paar Stunden ihr Haus öffnet, dass sie ihre Aufgaben machen und zusammen spielen können. Und der Mann fällt mir ein, der mit 62 aus bloßer Freude am Helfen die kleine Firma aufmacht, in der er mit drei anderen Rentnern Renovierungsarbeiten, Gartengestaltung und sonstige Arbeiten übernimmt, gegen ganz geringe Bezahlung, die sich auch die ärmeren Leute leisten können. Und schließlich denke ich an viele von uns, die das doch auch schon erfahren haben: Auf einmal wurde es wieder hell nach einer langen Zeit des Dunkels und der bösen Erwartungen. Die Lösung eines Problems, das uns schlaflose Nächte verursacht hat, kam wie von selbst und wir konnten nur staunen. Oder es ist etwas geschehen, was wir nur Wunder nennen konnten: Wir wurden bei einem Unfall bewahrt, wir haben eine schlimme Krankheit doch überwunden oder eine Last, die uns lange Sorgen gemacht hat, war auf einmal über Nacht von uns gewichen. - Das gibt es. Wir haben es alle schon erlebt. Nur beachtet haben wir es nicht, nicht so jedenfalls, wie es recht gewesen wäre.

 

Dabei lebt doch all unsere Hoffnung aus dem, was wir erfahren haben. Und die Zuversicht kommt doch von dem her, was wir früher erleben durften. Darum ist es gut, alles festzuhalten, was Gott uns an guten Erfahrungen, an kleinen und großen Wundern schenkt. Das Geheimnis des Vertrauens ist die Erinnerung: Wenn die Not heute eintritt, soll ich mir sagen, dass mir Gott doch damals so geholfen hat. Wenn ich heute Angst habe, soll ich an die Zeit denken, in der schon einmal alle Furcht von mir gewichen ist. Und wenn ich mir heute die größten Sorgen mache, soll ich mich erinnern, wie oft Gott schon alle Sorge von mir genommen hat.

 

Alles ist noch möglich, was Gott uns geben kann. Kein Dunkel, in das er nicht Licht bringen könnte. Niemand kann uns schaden, wenn Gott auf unserer Seite ist. Nirgendwo und vor nichts müssen wir uns fürchten - Gott ist mit uns. Er wird uns nicht verlassen und uns immer wieder die Kraft geben, die wir brauchen. Er reißt noch das aussichtsloseste Leben heraus aus dem Immer-so-weiter, und er kann aus dem tiefsten Schmerz die schönste Freude wachsen lassen.

 

Darum: Stärket die müden Hände und macht fest die wankenden Knie! Saget den verzagten Herzen: Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott! - Nicht erst drüben in der Ewigkeit! Hier und heute ist Gott da, hier und heute hilft er uns, hier und heute kann mit ihm an der Seite alles anders werden. AMEN

 


Autor: Pfarrer Manfred Günther; Foto: Gert Holle- 20.11.2018