Neue Sonderausstellung zu Papierarbeiten im Germanischen Nationalmuseum

Papierarbeiten. Albers, Beuys, Ecker, Lenk, Ostermeyer, Penck, Polke, Richter, Rosenbach, Rückriem, Trockel

Norbert Kricke: Ohne Titel, 1954 Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg  Sammlung Franoise und Heinz-Günter Prager © Nachlass Norbert Kricke
Norbert Kricke: Ohne Titel, 1954 Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg Sammlung Franoise und Heinz-Günter Prager © Nachlass Norbert Kricke

28.02.2024

 

Sonderausstellung
29. Februar – 26. Mai 2024

(Nürnberg/gnm) - Im vergangenen Jahr erhielt das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg rund 500 Arbeiten auf Papier aus der privaten Kunstsammlung des Malers, Bildhauers und Grafikers Heinz-Günter Prager. Sie umfasst vor allem Werke deutscher Künstler der Nachkriegsmoderne, abstrakte Arbeiten, die vorwiegend in den 1960er bis 1990er Jahren entstanden. Ab dem morgigen Donnerstag, 29. Februar 2024 zeigt eine Sonderausstellung erstmals einen repräsentativen Querschnitt durch die „Sammlung Franoise und Heinz-Günter Prager“.

„Die Übernahme dieser Sammlung und die aktuelle Sonderausstellung stärken das Profil des Germanischen Nationalmuseums in der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts. Außerdem wird damit ein zentrales Merkmal dieses Hauses wieder lebendig“, betont Generaldirektor Prof. Dr. Daniel Hess, „nämlich dass Stiftungen und Leihgaben von Einzelpersonen und Körperschaften das GNM zu einem gemeinschaftlich getragenen Museum machen.“

Über Jahrzehnte haben Heinz-Günter Prager und seine inzwischen verstorbene Frau Franoise die Blätter zusammengetragen. Die Auswahl spiegelt ihr ganz persönliches Interesse an der Kunst der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sie eint das Material Papier, außerdem die Eigenständigkeit der Darstellung. Denn bei allen Exponaten handelt es sich um Werke, die als autonome Zeichnungen gedacht und konzipiert wurden, selten sind sie Vorstudien oder Teil einer Werkgenese. Das überrascht, da die meisten der ausgestellten Künstler*innen in mindestens zwei Medien arbei(te)ten und Zeichnungen von reinen Zeichnern selten sind. Einen Schwerpunkt bilden Zeichnungen von Bildhauern.

Auf den ausgestellten Blättern geht es um Farben und Räume sowie um Bezüge zu Vergangenheit und Gegenwart. Die Themen, die Prager dabei interessieren, sind Bewegung, Tiefenräumlichkeit und Zeit, verbunden mit der Frage, wie sich diese abstrakten Phänomene mittels Linien und Flächen darstellen lassen.

 

Die Ausstellung gliedert sich in vier Themenbereiche:

Am Beginn in der Sektion Linie, Struktur und Fläche hängt die „Wärme-plastik im Gebirge“, eine poetische Bleistiftarbeit von Joseph Beuys aus dem Jahr 1956. Sie gehört zu den frühesten Werken, die Franoise und Heinz-Günter Prager erwarben, und verkörpert, womit sich Beuys in seiner Kunst immer wieder beschäftigte: Wärme und Kälte, Energie und das Speichern von Energie. Der Speichervorgang schließt eine zeitliche Dimension mit ein, die in die Zukunft wirkt. Arbeiten von A.R. Penck dagegen weisen weit zu-rück in eine vermeintliche Vergangenheit. Seine Motive zeigen stark stili-sierte menschliche Figuren, deren Formen an prähistorische Felsmalereien erinnern. In ihrer Undefiniertheit gehen sie über den eigenen Kulturkreis hinaus, sie sind allgemeingültig und raum- und zeitübergreifend.

 

Einen anderen Weg wählte Norbert Kricke. Locker gezogene Linien füllen spielerisch seine Bildflächen, problemlos lässt sich der zeichnerische Akt nachvollziehen. Breitere und schmalere Striche erwecken den Eindruck eines Vor- und Hintereinanders, so dass Tiefenräumlichkeit entsteht. Gerhard Richter kehrte den klassischen Werkprozess um: Die Zeichnung dient ihm nicht als Vorstufe für Malerei, vielmehr verwendete er 1979 ein Gemälde als Basis für seine Zeichnung. Die Leinwand spannte er vom Keilrahmen ab, dann nahm er die Gemälderückseite in den Blick und zeich-nete die dort vorgefundenen Knicke und Flecken nach. Richter hielt einen Zufallsfund fest und dokumentierte, was eigentlich verborgen bleiben soll.

Zeichnungen bieten zahlreiche Spielarten, um mit Hilfe von Farben und Linien Tiefe entstehen zu lassen. Thomas Lenks gelingt das ohne perspek-tivische Mittel, allein mittels sich überlagernder Schraffuren. Seine groß- formatigen, farbigen Strukturen leiten über zum zweiten Themenkomplex der Ausstellung: Farbe und Raum.

 

Gleich mehrere Exemplare von Josef Albers berühmter Serie „Homage to the Square“ sind dort zu sehen. Übereinander gedruckte Quadrate in unter-schiedlichen Farbnuancen lassen Farbräume entstehen, die zu einer neuen Wahrnehmung führen. Farbreduzierter arbeitete Rupprecht Geiger. Seine dichte Grafitzeichnung lockert am unteren Ende auf, so dass ein schmaler horizontaler Streifen entsteht, der dem Blatt eine räumliche Qualität verleiht. Um die Wirkung solcher Arbeiten zu unterstreichen, ragen die Exponate dieses Ausstellungsbereichs ganz real „in den Raum“ und scheinen vor der Wand zu schweben.

In Raum und Collage beeindrucken Zeitungsseiten, die Bogomir Ecker nahezu komplett übermalte. Einzelne Fotos ließ er sichtbar, die er mit Zeich-nungen und Kommentaren versah. Seine Ergänzungen nehmen dabei Formen aus den Pressebildern auf. Das Zeitungspapier reagierte empfindlich auf die pastose Übermalung, zog sich zusammen und bildete eine unebene Oberfläche. Ecker setzte sich in seinen Arbeiten kritisch mit der medialen Berichterstattung auseinander, indem er aufzeigte, wie Medien arbeiten. Durch Übermalen, Beschneiden und die Auswahl der sichtbar gelassenen Bilder filterte auch er das Geschehen.

 

Die Collage ist eines der Gestaltungsprinzipien, die die Dreidimensionalität ganz konkret umsetzen. Beuys stapelte und legte in seinem Werk „Schichtung (Batterie)“ mehrere unregelmäßig gerissene Blätter übereinan-der, während Hans Arp mit der Wahrnehmung der Betrachter*innen spielte: dunkle, amorphe Kreise aus dunklem Tonpapier wirken wie ausgestanzte Löcher, sind aber aufgeklebt – ein Spiel mit der Wahrnehmung von Schwarz und Weiß, von positiver und negativer Form. Die Arbeit ist der Entwurf für den rückseitigen Einband des Buches „Mit Witz, Licht und Grütze. Auf den Spuren des Dadaismus“ von Richard Huelsenbeck.

 

Die Werke Eckers, aber auch eine Collage Sigmar Polkes sind ungewöhn- liche und seltene Papierarbeiten im OEuvre dieser Künstler. Sie belegen, dass es Prager beim Sammeln nicht um „das Typische“ ging, sondern – im Gegenteil – sie zeugen von seinem Blick für das Besondere.

 

Kooperationen nehmen den letzten Bereich der Ausstellung ein. Prager selbst arbeitete seit den 1960er Jahren eng mit anderen Kunstschaffenden zusammen. In dieser Sektion sind daher auch Werke aus seiner Hand zu sehen. „überkreuzt“ aus dem Jahr 1993 entstand in Zusammenarbeit mit Gerhard Rühm: Der eine begann, ein Bild zu malen, und gab es dem anderen weiter, der ergänzte.

Monumental ist „Das Kölner Stundenbuch Albertus Magnus zu Ehren“, ein Mappenwerk zu einem Text von Rühm mit Beiträgen von insgesamt zwölf Künstlern. Jeder gestaltete ein Blatt, auf dem er sich mit dem Leben und Wirken des Kölner Heiligen aus dem 13. Jahrhundert auseinandersetzte. Es faszinieren die Vielfalt und unterschiedlichen künstlerischen Umsetzungen eines identischen Themas.

 

Aktionsraum

Jeder ist ein Künstler – sagte schon Joseph Beuys. Das Medium der Zeich-nung bietet sich dafür in besonderer Weise an. In der Sonderausstellung besteht die Möglichkeit, selbst kreativ zu werden. Erstmals wurde eine große Fläche für eigenes künstlerisches Betätigen freigehalten. Verschiedene Papierarten und Zeichenutensilien stehen bereit. An der Wand, auf dem Boden und an Tischen kann im Stehen, Sitzen, Liegen oder Gehen mit trockenen Stiften gearbeitet werden. An ausgewählten Wochenenden finden zudem Führungen mit kreativer Anleitung statt.

 

Für die Unterstützung der kunstpädagogischen Arbeit durch eine großzügige Materialspende dankt das GNM der Akademie Faber-Castell.

 

Kurator

Dr. Christian Rümelin Leiter der Graphischen Sammlung

 

Katalog

 

Begleitend zur Ausstellung ist ein Katalog (dt./engl.) zum Preis von € 28,50 (im Buchhandel € 38,-) im Wienand-Verlag erschienen.