Bahá'í-Frauen im Iran intersektional verfolgt

Behörden verschärfen Verhaftungen und Vorladungen

Fotoquelle: https://menschenrechte.bahai.de/
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8.05.2024

 

(Berlin/bgd) In den letzten Wochen wurden Dutzende Bahá’í-Frauen im Iran vor Gericht gestellt, wo ihnen unbegründete Anklagen und langjährige Haftstrafen drohen, die sie von ihren Familien trennen und sie der Härte und Brutalität des iranischen Justizsystems aussetzen. 65 der 82 Bahá’í, die seit Anfang März vor Gericht oder ins Gefängnis gebracht wurden – mehr als drei Viertel – waren Frauen.

Die Bahá’í-Gemeinde hat seit dem frauenrechtlichen Aufstand von 2022 einen Anstieg der Angriffe auf Frauen zu verzeichnen. Eine beträchtliche Anzahl von Bahá’í, vor allem Frauen, wurde in den Monaten nach den Protesten verhaftet, wobei einige von ihnen ohne ordnungsgemäßes Verfahren festgehalten werden und ihr Aufenthaltsort unbekannt ist.

Angesichts der gezielten Verfolgung von Frauen im Iran und der fehlenden Gleichberechtigung der Geschlechter stellt dieser dramatische Anstieg der Verfolgung von Bahá’í-Frauen eine besorgniserregende Eskalation dar, die eine Gruppe von Menschen intersektional betrifft: als Frauen und als Bahá’í, der größten nicht-muslimischen religiösen Minderheit im Iran, die seit der Islamischen Revolution von 1979 systematisch verfolgt wird.

„Die jüngsten Angriffe auf Bahá’í-Frauen zeigen deutlich, dass alle Frauen im Iran die gleiche Geschichte teilen, unabhängig davon, ob sie Bahá’í, Muslimas, Christinnen, Jüdinnen, Zoroastrierinnen oder gar nicht gläubig sind“, sagt Jascha Noltenius, Beauftragter für Menschenrechtsfragen der Bahá’í-Gemeinde in Deutschland. „Die iranische Regierung steckt dich ins Gefängnis, verweist dich von der Universität, kündigt dir deinen Arbeitsplatz und verfolgt dich, weil du für dein Bestreben eintrittst, ein erfülltes Leben als gleichberechtigter Mensch zu führen und mit anderen zusammen Seite an Seite zu wirken, unabhängig von Geschlecht, Herkunft und Glauben, um dein Heimatland für alle Menschen lebenswerter zu machen.“

Diese Zunahme der Verfolgung spiegelt einen allgemeinen Trend der eskalierenden Angriffe gegen die Bahá’í im Iran wider. Die Analyse der BIC für den Zeitraum 2021-2023 zeigt, dass die Verfolgung der Bahá’í im Iran seit 2021 jedes Jahr um etwa 50 Prozent zugenommen hat.

Zu den Verfolgungsmaßnahmen gehören Verhaftungen, Gerichtsverfahren, Gefängnisstrafen und Vorladungen, Hausdurchsuchungen, Beschlagnahmung von Eigentum, Zerstörung von Friedhöfen und Verweigerung von Beerdigungen, Schließung von Geschäften sowie Verweigerung des Zugangs zu Bildung.

In den letzten Monaten haben die Angriffe auf Bahá’í-Frauen sogar noch weiter zugenommen. Im Oktober 2023 wurden 10 Frauen aus Isfahan, die meisten in ihren Zwanzigern und Dreißigern, verhaftet. Im selben Monat wurden 26 Bahá’í, darunter 16 Frauen, zu insgesamt 126 Jahren Gefängnis verurteilt, was ein Zeichen dafür ist, dass Frauen in der gesamten Bahá’í-Gemeinde immer wieder ins Visier genommen werden.

Im November 2023, wurden sechs weitere Bahá’í-Frauen aus Isfahan einen Monat lang unter harten Bedingungen in der Quarantänestation des Gefängnisses Dolat Abad inhaftiert. Die absichtliche Verzögerung ihrer medizinischen Versorgung, der eingeschränkte Zugang zu warmem Wasser und die Verweigerung von Informationen über die Gründe für ihre Verhaftung oder die gegen sie erhobenen Anschuldigungen zeigen die alarmierende Eskalation der brutalen neuen Taktik der iranischen Regierung gegen die Bahá’í-Gemeinde.

Agenten des Geheimdienstministeriums haben außerdem eine gezielte Kampagne der Nötigung und Einschüchterung der Nachbarn einiger Bahá’í durchgeführt, um die inhaftierten Bahá’í-Frauen zu zwangsweisen Aussagen zu bewegen.

„Während wir die Kampagne ‚Our Story is Onefortsetzen, die an die Hinrichtung von 10 Bahá’i-Frauen vor 40 Jahren erinnert, sowie an alle Frauen, die sich weiterhin für die Gleichberechtigung der Geschlechter aufopfern, sehen wir, dass die iranische Regierung auf ihren jahrhundertealten und gescheiterten Bemühungen besteht, durch verstärkte Verfolgung, Hassreden und die gezielte Verfolgung von Frauen einen Keil zwischen ihre Bürger zu treiben“, so Noltenius weiter. „Ihr Handeln beweist, dass die Geschichte der zehn Bahá’í-Frauen dieselbe ist wie die aller iranischen Frauen heute, und ihr Scheitern, solche Gräben zu schaffen, wie es durch die Unterstützung von Our Story is One deutlich wird, zeigt, dass keine noch so große Menge an Hassreden und Diskriminierung die tiefste Sehnsucht des menschlichen Herzens nach Einheit und gleichberechtigter Zusammenarbeit für die Sache der Gerechtigkeit zerstören kann.“

Zu Beginn dieses Jahres übergab die BIC einen Bericht an die Untersuchungskommission der Vereinten Nationen, die mit der Untersuchung der Menschenrechtsverletzungen im Iran seit September 2022 beauftragt ist, in welchem sie die Auswirkungen dieser Ereignisse auf die Bahá’í-Gemeinde im Iran, insbesondere auf die Bahá’í-Frauen, detailliert darlegte.

Im vergangenen Monat veröffentlichte Human Rights Watch einen bahnbrechenden neuen Bericht, der Schlagzeilen machte, weil er zum ersten Mal juristisch feststellte, dass die Behandlung der Bahá’í durch die iranische Regierung dem „Verbrechen der Verfolgung gegen die Menschlichkeit“ gleichkommt. Der Bericht empfahl unter anderem, dass die UN-Untersuchungsmission einen Teil ihrer laufenden Untersuchungen auf „die Zunahme der Verfolgung von Bahá’í-Frauen“ konzentrieren solle.

 

 

 

Die mit mehreren Millionen Anhängern weltweit verbreitete Religion der Bahá’í ist eine unabhängige, monotheistische Weltreligion. In ihrem Ursprungsland Iran bilden die Bahá’í die größte nicht-islamische religiöse Minderheit. Die Verfolgungsgeschichte der Bahá’í im Iran beginnt bereits mit den Anfängen ihrer Religion im Jahr 1844. Seit der Islamischen Revolution 1979 werden Bahá’í systematisch verfolgt. Der iranische Staat formulierte 1991 gar eine eigene Staatsdoktrin mit dem Ziel, die Bahá’í als lebensfähige Gemeinschaft im Iran und im Ausland auszuschalten. Die Verfolgung wurde zu diesem Zweck über den Einfluss auf die Huthis in den Jemen exportiert.